Affen

Am 11. März 2020 spielt die Volksbühne in Berlin vorläufig ihre letzte Vorstellung. Es ist das Stück „Affen“ von Ben Becker, das eigentlich als Kritik an Kapitalismus und Klimawandel gedacht ist. Doch plötzlich scheint es mehr ein Kommentar auf den aktuellen Social-Media-Wahn zu sein. Was Becker als Huldigung des Äffischen inszeniert, verkommt hier zu einem Affentheater.

Der Lieblingsschauspieler der Norddeutschen klagt in seinem neusten Stück mal im Gorillakostüm, mal wie ein Clown geschminkt über den Zustand der Welt. Er stellt sich „den großen Themen unserer Zeit: dem Verhältnis Mensch und Tier, Zivilisation und Natur, Freiheit und Zerstörung“, wie es in der Ankündigung zu seinem Stück heißt.

Dabei durchmischt er in seinem immer gleichen salbungsvollem Predigerton Franz Kafkas „Ein Bericht für eine Akademie“ und Friedrich Engels „Anteil der Arbeit an der Menschwerdung des Affen“. Beide Texte zeigen die Menschwerdung des Affen nicht als Fortschritt, sondern als schmerzlichen Weg in die Unfreiheit.

Die Frage, die sich für mich derzeit stellt: Ist der umgekehrte Vorgang nicht genauso schmerzhaft? Oder für viele eine echte Befreiung?

Affe sein oder zum Affen gemacht werden, das scheint eben jener schmale Grat, an dem sich unsere Autonomie und Menschlichkeit gerade entlang hangelt.

Bei Engels ist es der aufrechte Gang, der dem Affen die Hand freigibt und so Werkzeug und Arbeit erschaffen lässt. Allerdings führt dies bei dem Philosophen nicht nur zu bewusstem Handeln, Sprache und Gesellschaft, sondern auch zum Raubbau an der Natur. Der Mensch bleibt bei Engels Tier, wenn es um den Profit geht.

Eine Tendenz, die zurzeit vor allem im Umgang der Tiroler Behörden mit dem Corona-Virus deutlich wird. Wie ein „Hottentotten-Staat“, so der Nationalratsabgeordnete Hörl – wobei er zwischen Tier- und afrikanischem Menschsein offenbar keinen Unterscheid macht –, würde Tirol wirken, wenn es sein „Kitzloch“ nicht kurz schließen würde. Die Angst vor der Krankheit scheint dabei weniger Gewicht zu haben, als die Angst vor einem schlechten Ruf, ja sogar dem Vorwurf der Wildheit. Obwohl diese beim Aprés-Ski doch immer so abgefeiert wird: „Höchste Zeit dass jeder seine Opferl findt – Holleroidi!“

Bei Kafka bringt sich der Affe Rotpeter ganz ohne Werkzeug das Menschsein bei. Er beobachtet die Besatzung eines Schiffes von seinem Käfig aus, mit dem er in Hagenbecks Tierpark gebracht werden soll. Dabei bemerkt er, dass sie eigentlich alle gleich sind: „Es war so leicht, die Leute nachzuahmen“. Man muss nur Spucken und Tabakrauchen und Schnapstrinken können und schon sieht die Gesellschaft ihn als ihresgleichen an. Deswegen fällt es ihr heutzutage ja auch umso schwerer, all diese Dinge zu lassen – oder wenigstens nur für sich allein zu machen.

Rotpeter ist auf jeden Fall nicht glücklich in diesem Sein. Kafka erzählt seine Geschichte nicht als Autonomisierung, sondern Anpassungsleistung, um die Gewaltherrschaft der Menschen zu überleben.

Wenn Rotpeter sich bei Nacht auf „Affenart“ bei einer kleinen Schimpansin austobt, schreckt er bei Tage vor ihr zurück: „Sie hat nämlich den Irrsinn des verwirrten dressierten Tieres im Blick, das erkenne nur ich und ich kann es nicht ertragen.“

Auch ich kann den Irrsinn gerade schwer ertragen, der die Menschen sich selbst aus tiefster Vernunftspanik einzusperren und gegen das Fremde abzugrenzen scheint. Dabei wäre die Frage nach dem richtigen Abstand wohl die dringlichste. Keine/r weiß mehr, wem er/sie glauben kann. Alle ringen aber umso gieriger nach einer Führungsperson, einem starken Leitaffen, der in Wien mal in dem kurzbrüstigen Bundeskanzel und seinem „Team Österreich“, mal in den Expertenmeinungen der auch um Finanzierung bangenden Virologen gefunden wird.

Und schon wird Facebook und Instagram zum reinen Affentheater: Es gibt die mächtigen Gorillas, die sich auf die Brust schlagen und in Videobeiträgen, Life-Stories und Fotoreihen zeigen, wie schön ihr Leben in Quarantäne ist – und wie sie alles besser machen als die Affen da draußen, die immer noch nicht kapiert haben, dass man sich nicht auf die Wiese legen darf. Dahinter stehen die kleinen Brüllaffen (#stayathome) und Plumporis (#staythefuckhome), die mit ihrem giftigem Sekret Andersdenkende mundtot machen wollen.

Entgegen Kafkas Rotpeter, der seinen schmerzhaften Weg nur als Fallbeispiel präsentiert, stellen sie sich als Messias dar. Bewaffnet mit den richtigen Hashtags und der richtigen Moral.

„Im Übrigen will ich keines Menschen Urteil“, sagt Rotpeter am Schluss der Leitung der Akademie, der er Bericht erstattet: „Ich will nur Kenntnis verbreiten“.

Ich wünschte, dass sich mehr Leute diesem Willen anschließen. #thinkforyourself

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