„Schau auf Dich, schau auf mich“, mit diesem bibelinspirierten Slogan will der österreichische Bundeskanzler nach Ostern die Corona-Maßnahmen sukzessive lockern. Doch schreit gerade aus seinen sinnbildlichen Augen, wieviel Überwachung, Strafe und heiliger Zorn uns noch blühen.
Immer wieder steht er mit ausgebreiteten Armen da und predigt an seine Massen: Der Bundeskanzler Kurz, von vielen sarkastisch der heilige Sebastian genannt.
Folgen tun ihm trotzdem fast alle Österreicher. Doch anstelle des selbstlosen Märtyrers, der tatsächlich als Schutzpatron gegen die Pest angerufen wird, fährt Kurz einen wesentlich egomanischeren Kurs. Dieser führt ihn nicht nur zum heiligen Gott, sondern auch in die Vorhölle des Rapgesangs.
„Erforsche mich, Gott, und erfahre mein Herz; prüfe mich und erfahre, wie ich’s meine. Und siehe, ob ich auf bösem Wege bin, und leite mich auf ewigem Wege“, so lautet der Psalm 139, 23, der unter dem Thema „Gott sieht und weiß alles“ geführt wird. Wie viele Regierungsvertreter stilisiert sich natürlich auch die österreichische Politik gerade als allwissend und vor allem allsehend, damit kein Quarantänebrecher oder Mundschutzlästerer ungestraft davonkommt. Die Polizei verhängt hohe Geldstrafen und versucht Omnipräsenz zu zeigen, die angesichts des auch für sie verpflichtenden Mundschutzes und den hohen Covid-Infektionen innerhalb der Polizei jedoch immer kläglicher wirkt.
Also setzt man auf Nächstenliebe, auf leicht verständliche Regeln, die ein jeder befolgen kann: Angefangen beim Zuhausebleiben bis nicht in die Augengreifen.
Das ist natürlich alles sehr löblich und befolgenswert.
Gruselig dahinter finde ich nur ein von Kurz mit seinen Messiasarmen ausgesprochenes „Schau auf mich“, dass das „Schau auf Dich“ fast vergessen macht und plötzlich ganz andere Vorbilder als die Nächstenliebe aufploppen lässt.
Kurz neues Facebook-Profil
Nicht wie der Heilige selbst, sondern wie sein Bildnis will auch der Bundeskanzler vor allem die Blicke auf sich lenken und inszeniert sich besonders an Ostern als liebender Sohn, der seine Eltern schützt. Ein Leidender, der zum Schutze aller, die Härte der Maßnahmen auf sich nimmt.
Hinter dem ‚nächstenliebenden‘ Schau-mich-an, versteckt sich ein aggressiver Narzissmus, der eher am Rapgesang und seinem steten „Look at (me) now!“ ersichtlich wird.
Hier ist es ein Gestus ehemals Marginalisierter, die sich nun in die Augen der Mehrheit drängen, und bringt den ganzen phallismatischen Charakter solcher Aufforderungen an die Oberfläche. Was hier allerdings oft augenzwinkernd oder hyperbolisch gemeint ist, wird bei Kurz zum gestrengen Ernst.
Von Busta Rhymes bis zu Beyoncé (obwohl sie seit Jay-Z eher auf „Look at what you did to me“ setzt) wird im Rap wahlweise das Geld, die Beliebtheit oder eben nur der große Penis mit dem Ego-Trippin des „Look at me!“ verbunden.
Interessanterweise tanzen Busta Rhymes und Chris Brown in ihrem Video dabei auf einem Krankenwagen. Die unglaubliche Potenz, sogar Krankheiten zu überwältigen, kommt in dem Zusammenhang von „Schau (mich an)“ und „Show“ deutlich zum Tragen. Die beiden haben sich mit ihrem „Look at me“ bereits in die Unsterblichkeit gerappt.
Ganz ähnlich hustet Fero74, ein kurdisch-deutscher Rapper, 2019 in seinem Song „Schau mich an!“ zu Beginn in die Kamera, bevor er uns im Refrain auffordert: „Schau‘ mich an, bin so krass, ja, mein Flow ist krasser, Bra“.
Was ihn zuerst husten macht, ist – wie in vielen Rapvideos typisch – das Dope. Doch es ist zum Glück nicht Zeichen einer Lungenschwäche, was Fero wenige Monate später wohl auch anders inszeniert hätte, sondern seines Reichtums. Er besingt im Folgenden nur noch seine:
„Summen, Summen, Summen Und der Motor ist am Brummen Platzkopf-Modus, wie beim Horus Geh‘ ich vor und steh‘ im Fokus“
Im Horus kommt das Göttliche mit dem Säkularem, im Rap zumeist Blasphemischen zusammen.
Die falkenartige Gestalt (die oft auch mit Jesus gleichgesetzt wird) ist der wohl älteste und höchste Gott der ägyptischen Mythologie. Als Vogelauge überwacht er mit seinen Sehorganen „Sonne“ und „Mond“ den gesamten Himmel und ist gleichzeitig der Inbegriff des krieg- und heilbringenden Führers.
Eben hier treffen sich ‚Überwachungs‘-Kurz und aggressiver Rap-Gestus, da sie beide sich mit ihrem „Look at me“ an die Spitze (des Himmels) bringen wollen. Kurz stilisiert sich ebenso wie die Rapper mit seinem „Schau mich an“ zu eben jenem souveränen Horus, der alles überblickt und den Überblick bewahrt – ja, der unsterblich wird.
Aus diesem Grund ist es sicherlich auch kein Zufall, dass nach Ostermontag, dem Tag der Auferstehung, die Maßnahmen gelockert werden.
„Schaut mich an, ich leite Euch auf den ewigen Weg“, sagen Kurz‘ Inszenierungen. Doch dahinter steckt ein ego-trippendes „Guck mich an, ey!“, das auch hinter den distanzierenden Maßnahmen noch laut zu vernehmen ist:
„Schau‘ mich an, bin so krass, ja, mein Leid ist krasser, Bra“.
