Zuerst nur eine kleine, mit Fäden durchzogene Wolke, bewegt sich die hellblaue Flüssigkeit plötzlich in einem großen Tropfenerguss auf ihr Opfer zu. Die Rede ist von dem Schleim, der sich durch Husten und aktuell ebenso bloßes Atmen von einem Menschen auf den anderen übertragen soll. In ihm klebt eine ganze Masse kleiner Covid-Viren und vor allem eine Menge gefährlicher Assoziationen, die Corona mit einer Art Superkraft auszustatten scheint.
Scheinbar seriös wie in der New York Times oder etwas unseriöser wie in den vielen Aerosol Research Labs, die oft nur ihre Belüftungsanlagen oder gleich ein ganzes Gebäude verkaufen wollen – werden zur Zeit nicht nur die uns schon zum Alltag gewordenen weltweiten Statistiken der Verbreitung präsentiert, sondern eine Mensch zu Mensch-Übertragung, die die Angst vor den gefährlichen Keimen drastisch nährt.

Nicht nur sehen wir immer mehr potentielle Gefährder in unseren Mitmenschen, auch die aktuell veröffentlichten Studien wandern immer mehr von einer dicken Schmierinfektionen zu den luftigen Aerosolen, die weit bedrohlicher wirken als ein mit zwei Meter Abstand unwahrscheinlicher infektiöser Handschlag.
Diese Angst vor der Uneinsehrbarkeit bzw. Unvorhersehbarkeit von Dingen hat die Sozialanthropologin Mary Douglas schon 1966 in ihrem Buch Purity and Danger behandelt. Sie macht deutlich, dass unsere moderne Angst vor Verunreinigung durch Keime vergleichbar ist mit der Angst von ‚Buschmännern‘ vor gefährlichen Geistern: „We kill germs, they ward off spirits. On this view, our washing, scrubbing, isolating and desinfecting has only a superficial resemblence with ritual purification.“
Die Hygienevorstellungen der Gegenwart beruhen genauso auf einem Glauben an etwas Nicht-Sichtbares, wie es die Reinigungsrituale von Stämmen aus der ganzen Welt tun. Dabei betont Douglas, dass die daraus entstehende Angst vor Verschmutzung keinesfalls aus einer individuellen Konstitution entsteht, sondern aus der Beschaffenheit von Gesellschaftsstrukturen. Sie sind es, die Quarantänen und Schutzvorkehrungen als „symbolic actions“ brauchen, um ihre Gemeinschaft reinzuhalten. Sonst sieht es auf jeden Fall sehr blutig aus.
„Where there is dirt, there is system“, schreibt Douglas und macht damit deutlich, dass auch im oft ausgerufenen „Krieg gegen Corona“ nicht einfach um ein einzelnes Menschenleben gekämpft wird, sondern um den Erhalt des gesamten sozialen Gefüges. Die Erschütterungen, die es offenbar schon vorher genommen hat – sei es durch unterbezahlte ‚systemrelevante‘ Berufe oder durch schlechte Gesundheitssysteme –, wird vor dem noch viel undurchsichtigeren Virenhintergrund häufig ausgeblendet und stattdessen das Virus zur Stabilisierung des eigentlich nicht funktionierenden Staates genutzt.
Denn nicht nur ist alles schmutzig, was verseucht ist; es ist alles schmutzig, was chaotisch ist. „Hybridität“ ist das Stichwort, das Douglas als Marker von Unreinheit und Gefahr nennt. Damit sind sowohl klebrige Konsistenz gemeint, die weder flüssig noch fest sind (wie besagter Schleim), als auch Tiere, die weder eindeutig in der Luft, im Wasser oder an Land unterwegs sind (wie Fledermäuse), oder Menschen, die sich in uneindeutigen Stadien befinden: ungeborene Kinder, Schwangere, Menstruierende und vor allem – Kranke. Gleich einem Besessenem führt er zur Warnung seinen Krankheitstanz auf.

Alle diese „transitional states“ ebenso wie Lebewesen, „which creep, crawl or swarm“, sind hybrid und bedrohen die Gemeinschaft durch ihre Ungewissheit. Zu ihnen gehört auch Covid-19: Das Virus wird immer wieder als schwärmendes, auf den Stock-Images mit vielen Saugnäpfen oder Beinchen ausgestattetes Kleinstier gezeigt, das sich besonders in Pandemiezeiten scheinbar magisch durch die Haut bohren und in die Atemwege gelangen kann, gleichsam ohne den Umweg der Tröpfcheninfektion.

Dies wird besonders deutlich, wenn die „Super-Coughs“ von infizierten Menschen oder einfach nur der „Superbreath“ eines jeden Menschen digital untermalt wird. Sie machen jeden potentiellen „Superspreader“. Fast wie Gwyneth Paltrow in Contagion (2011), die in den ersten Minuten des Films zu viele Nüsschen am Flughafen isst, nachdem sie die Hand eines chinesischen Kochs geschüttelt hat, und schon hat sie tausende Menschen aus aller Welt angesteckt und ihr selbst wird kurze Zeit später der Kopf aufgesägt.
Dass Oduktionen in der heutigen Zeiten dagegen erst kürzlich durch den Hamburger Arzt Doktor Püschl vorangetrieben wurden ist nur ein weiteres Zeichen des Super-Paniknarrativs.
Niemand will sich die Übermacht des Virus nehmen lassen, weil die Gesellschaft nur so strikt ‚stabilisiert‘ werden kann. Dafür braucht es den Glauben an superkleine, superüberlebende, überall hinkriechende Keime wie es früher den Glauben an Hexen gab.
„Both we and the bushmen justify our pollution avoidance by fear of danger“, sagt Douglas und lässt die westliche Medizin genauso von „Magic and Miracles“ (so ein Unterkapitel) beherrscht erscheinen, wie die Rituale von Schamanen. Obwohl diese mit ihren Mikroskopen und Technologien tiefer in die uneinsehbaren und damit angstmachenden Bereiche vordringen kann, leidet sie dennoch – wie man aktuell bei der verzweifelten Suche nach Immunstoffen feststellen muss – unter vielen blinden Flecken und reinen Mutmaßungen.
Deswegen kann Trump auch vorschlagen, ins Sonnenstudie zu gehen und Desinfektionsmittelcocktails zu schlürfen wie ernstzunehmende Mediziner nun das Rauchen empfehlen, da Nikotin eventuell einen heiligen Schutz um die von Covid befallenen Blutkörperchen bildet. Ich gehe auf jeden Fall schon Pflaster einkaufen und finde das eigentlich nicht viel absurder als die rapide Vergiftungszunahme in den USA durch getrunkene Reinigungsmittel.

Angesichts von Krankheit und Gefahr müssen wir uns eben auf jede erdenkliche Art reinigen. Nur haben wir nicht mehr die Möglichkeiten, dies durch rituelle Tänze oder auch mal eine Waschung mit Kuhdung zu erreichen, wie Douglas sie für indische Kasten beschreibt. Unreinheit ist ja bekanntlich relativ.
Außer in dieser Krise: Hier tanzen die Menschen überall auf der Welt in ihrem Glauben an das allmächtige Wissen der Medizin um die stets wechselnden Angaben der WHO bzw. des Robert-Koch-Instituts, die nach langer Weigerung nun doch auch Masken für äußerst wichtig halten.
Ich habe auf jeden Fall schon eine in lila – genäht von den Kindern meiner Schwägerin, der praktische Teil des Homeschooling –, eine mit Erdbeeren verzierte für das wilde Partyleben auf Abstand und eine schwarze für eventuelle Überfälle auf leerstehende Museen, die im Gegensatz zum Großhandel noch nicht aufmachen dürfen.

Dann guck ich mir die Objekte alleine an und atme die in diesen Häusern stets gut zirkulierte Luft, der sowieso kein Coronavirus standhalten kann, auch nicht wenn er lila oder blau eingefärbt ist, während andere sich beim wieder geöffneten H&M an den Schmierkleidern vergnügen.
Auch das ein Resultat des Paniknarrativs: Kein System, keine Institution und kein einzelner Mensch kann in dem Aerosolnebel noch richtig gucken und entscheiden, was für den Erhalt von Gesellschaften wichtig ist. Ich hoffe nur, dass H&M auch von Stella McCartney designte Schutzmasken verkauft – die sind dann wenigstens nachhaltig.