Der postnatale Körper

Brüste wie Birnen, ein Bauch aus Schmorgurke und Blumenkohl am Arsch – der postnatale Körper sieht aus wie ein Werk von Arcimboldo. Trotzdem posten die meisten „Mamis“ nach einem Jahr ihre neu gestählten Bauchmuskeln. 

Schwangerschaft und Geburt hat viele Follower. Ob es göttergleiche Bilder der Fruchtbarkeit sind, Stillbilder, Kuschelbilder, Schlafbilder, kleine Hand- oder Fußbilder, sie alle werden mit hunderttausenden von Likes bedacht. Niemand scheint trotz ihrer Repetitivität genervt von ihnen. Sie sind die immer wieder überraschende Entdeckung neuen Lebens.

Nun werden auch die Körper der Mütter neu entdeckt #allbodiesaregoodbodies #bodypositivity

Stakste Heidi Klum noch 2018, nach nur wenigen postnatalen Wochen, auf den Laufsteg von Victoria Secret, ist es heute cool, seine Dellen in die Kamera zu halten, dicke Busen und hängende Hüften zu zeigen.

Aber nicht mehr nach einem Jahr. Da ist selbst die „freche, unangepasste“ Evelyn Weigert, die um Selbstakzeptanz und „Nicht-Immer-Allen-Gefallen-Müssen“ buhlt, ein zurechtgeformter Wonderbody, der zwar mit Kurven, aber keiner Delle mehr für Unterwäsche wirbt.

Ich selbst bin überaus erstaunt, wie sehr sich der Körper nach einer Schwangerschaft und Geburt verändert hat – auch nach einem Jahr noch. War ich in der Schwangerschaft durch die zahlreichen Mummy-Blogs und Ratgeber auf das Schlimmste vorbereitet, obwohl ich noch am Tag der Geburt schwimmen gehen konnte, ist mein wackerer Körper nach den neun Monaten in sich zusammengesackt. Besonders die Geburt bringt mit ihren Presswehen und Ausleitungen das Gewebe an seine Grenzen, egal wie sportlich man vorher war. Eine Heidi Klum kann also nur durch das gut gesetzte Messer eines Arztes Unterwäsche präsentieren – ob als frühzeitiger Kaiserschnitt (der in den Privatkrankenhäusern oft über 91% der Geburten ausmacht), damit das Gewebe nicht in der letzten Phase butterweich wird, oder als präzise eingesetztes Werkzeug eines Schönheitschirurgen. Nach sechs Wochen, also mitten im Wochenbett, können die nach außen gedrängten Bauchmuskeln ohne Implantate auf jeden Fall kein Sixpack bilden.

Ich musste nach 16 Stunden Wehen und einem Kaiserschnitt erstmal wieder lernen, wie man pinkelt. Trotz Still-Koks, das in meinen Adern rauschte, und mich die ersten drei Nächte wachliegen ließ, war ich so kaputt, wie noch nie in meinem Leben. Drei Tage später konnte ich zwar wieder gehen und pissen, aber der bis ans Äußerste gedehnte und hormonell maximal umgestellte Körper hat mich das erste Mal gelehrt, lieber langsam zu machen. Kein Sixpack aufzubauen, sondern lieber nur die Faszien zu rollen. 

Stillen und Stillabbruch tun ihr übriges. Oxytocin hält auch nach der Geburt Gewebe und Knochen so weich, dass schon der Aufprall beim Joggen die Knöchel wackelig machen kann. Ist das während des Stillens noch egal, weil man voller Endorphine ist, kommt spätestens mit dem Abstillen ein Prozess aus Schmerz, Trauer und vielen Krankheiten in Gang. Oxytocin und Endorphin, die sogenannten „endogenen Morphine“, werden der Mutter nach monatelangem Süchtigsein entzogen. Der ganze Körper wehrt sich, bei vielen meiner Freundinnen und mir selbst zum Beispiel mit Entzündung dagegen.

Was der Camebridger Neurowissenschaftler Edward T. Bullmore in seinem Buch „The Inflamed Mind“ für entzündliche Infektionen in Zahnwurzeln und Wunden herausgefunden hat, die Ursache für schwerwiegende Depressionen sein können, scheint auch andersherum zu gelten: Wer einen plötzlichen Endorphin-Abfall hat, entzündet sich.

Noch heute, nach mehr als einem Jahr, sehe ich mein kleines gewölbtes Bäuchlein, spüre meine herausgepressten Hämorrhoiden und die durch das Abstillen induzierte Gastritis und mir würde nicht im Traum einfallen, meinen äußerlich durchaus wieder gut zusammengebastelten Körper zum Liken anzubieten.

Warum machen das so viele?

In erster Linie wohl aus Kompensation: Die frühen Jahre mit Kind sind entbehrungsreich. Kaum Zeit für sich selbst, mit einem maximal beanspruchten Körper, der dann auch noch nähren und tragen muss. In meinem Fall einen nun schon 13 Kilo schweren anderen Körper, der sich gern gemütlich in den Schlaf wiegen lässt. Dafür spanne ich meine Nacken- und Armmuskeln so an, dass der Oberkörper trotz zu wenig Sport aussieht, als ob man auf sehr ungesunde Weise Gewichte hebt. Der Ein-Jahr-Bauchmuskel-Post soll zeigen, dass man es trotzdem geschafft hat: Sich ‚against all odds‘ seine Zeit genommen und mit den vielen postnatalen Workouts an die Spitze der likebaren Körper geplankt hat.

Weil es eben doch nicht cool ist, Dellen und Hubbel zu haben. Alle sogenannten Plus-Size-Models gehören immer noch dem Ideal der griechischen Statue an. Sie sind marmorhafte, abgeschlossene, wohl geformte Körper, die eben nicht wie die Werke von Arcimboldo über die klassisch-harmonische Gestaltung hinausgehen.

Der Maler der Spätrenaissance hat mit seinen „teste composte“ (ital.: zusammengesetzte Köpfe) nicht nur phantastische, sondern auch verwundbare, offene Figuren geschaffen, wie sie erst in der Moderne wiederentdeckt werden. Bis dahin galt, was jetzt auf Instagram oder TikTok gilt: Möglichst glatte, glänzende und wohlproportionierte Formen zu zeigen. Eine Möhre als Nase oder eine Zwiebel als Wange zerreißt dieses Ideal ebenso wie ein Bauch aus Schmorgurke.

Die postnatalen Ein-Jahres-Posts machen einmal mehr deutlich, was die sozialen Plattformen nicht sind: offen, divers und karnevalesk. Wir leben – zumindest ästhetisch – immer noch in der Antike.

Kommentar verfassen

Trage deine Daten unten ein oder klicke ein Icon um dich einzuloggen:

WordPress.com-Logo

Du kommentierst mit Deinem WordPress.com-Konto. Abmelden /  Ändern )

Twitter-Bild

Du kommentierst mit Deinem Twitter-Konto. Abmelden /  Ändern )

Facebook-Foto

Du kommentierst mit Deinem Facebook-Konto. Abmelden /  Ändern )

Verbinde mit %s

%d Bloggern gefällt das: