Muttermilch gilt als Essenz der Liebe. Sie ist nicht einfach nur Nahrung, sondern befördert Nähe, Gesundheit, Intelligenz – ja sogar den späteren Reichtum des Kindes. Mit der Flasche fütternde Mütter müssen sich daher nicht nur die Frage stellen, wie, sondern ob sie überhaupt eine (gute) Mutter sein können.
Stillen, mittelhochdeutsch für beruhigen, kann man seit dem 16. Jahrhundert nur mit den Brüsten. Davor hat man gleich den Tieren einfach nur gesäugt. Doch die überhöhende Bedeutung dieses Aktes lässt sich etymologisch schon in der Neuzeit finden. Dabei ist die Brusternährung, wie sie viel simpler im Englischen genannt wird, gar keine so große Selbstverständlichkeit.

Schaut man sich die Geschichte des Stillens an, wurde besonders mit der Aufklärung, also dem Ruf nach Mündigkeit des Menschen, das Säugen eher an Ammen abgegeben – wenn man es sich leisten konnte. Da diese armen Bauernsfrauen aber meist nur sich selbst und ihre Nächsten mit dem wenigen Geld ernähren konnten, griff man früh auf Getreidebreie oder Kuhmilch zurück. Mit dem Effekt, dass viele Kindern durch verunreinigtes Wasser oder Unverträglichkeiten starben. Trotzdem hielt diese Praxis bis ins 20. Jahrhundert an: Die höhere Schicht wollte nicht stillen und die niedere konnte nicht, weil sie frühzeitig wieder zur Arbeit musste.
Das sollte sich mit der Jahrhundertwende schlagartig ändern: Mit zunehmender Erkenntnis über Hygieneverhältnisse, Bakterienverbreitung und Entwicklungspsychologie sprachen sich die Vorreiter dieser Wissenschaften zunehmend fürs Stillen aus.

Während des Dritten Reiches wurde sogar ein ideologischer Stillzwang eingeführt, der durch Bücher wie Johanna Haarers Die deutsche Mutter und ihr erstes Kind befördert wird.
Muttermilch versprach hier nicht nur Gesundheit und Intelligenz, sondern vor allem Rassenreinheit. Das Buch war noch bis in die 1970er hinein ein Beststeller.

Eine Zeit, in der auch das „Attachment Parenting“ (AP) immer größer wurde: Diese Bindungserziehung empfiehlt, das Kind so oft wie möglich, am besten nackt, an der Haut zu tragen – so wie es ‚primitive‘ Kulturen täten. Im gleichen Zuge wurde „Breast is best“ zum Standardslogan und mit AP das Langzeitstillen immer attraktiver.
Der große Aufruf zum Stillen war historisch also in erster Linie ein Versuch, die Säuglingssterblichkeit zurückzudrängen, und wurde dann zur bindungsorientierten Erziehung verklärt. Die heutige Empfehlung der WHO, die mindestens 6 Monate Stillzeit vorsieht, muss ebenfalls im Kontext von Hygieneverhältnisse gelesen werden: Sie ist nicht nur an Industrieländer wie Deutschland und Österreich gerichtet, sondern an alle Länder der Welt, in denen die meisten noch große Probleme mit verunreinigtem Wasser und fehlendem Säuglingsnahrungsersatz haben.
Doch der Druck, zu stillen, kommt nicht allein aus der Geschichte. Denn gerade die Gegenwart wartet mit groß angelegten Studien auf, die beweisen sollen, dass gestillte Kinder weniger Allergien und Fett, dafür mehr Gehirnzellen haben und auch eher Großverdiener werden. Gesund, schlank und reich – die großen Dikta unserer Zeit werden alle über die Muttermilch übertragen.
Obwohl jede (!) dieser Studien bereits widerlegt ist, haben sie besonders im Netz einen solch lauten Widerhall, dass sich nicht mal Aptamil oder Nestlé dagegen wehren können – die Marktführer der Säuglingsnahrung. Kommt man auf ihre Website, muss man sich erstmal ein großes Banner anschauen, das verlautet: „Stillen ist die beste Ernährungsweise und schützt vor Krankheiten“, bevor man erfahren darf, wieviel Portionslöffel Pulver man seinem bald kranken, fetten und dummen Kind nun eigentlich geben darf.
Ich stille seit der 8. Woche nicht mehr. Um gleich ein weiteres Tabu zu brechen – denn auch über die Nebenwirkung der Coronaimpfung darf ja derzeit nicht gesprochen werden – als Nebenwirkung der Coronaimpfung. Wie damals nur in England veröffentlichte Studien zeigen, gehen bei Biontec bei etwa 8%, bei Moderna bei satten 27% die Milchproduktion zurück. Das alleine wäre noch nicht so tragisch, da es vor allem ein drei bis vier Tage unzufriedenes Kind bedeutet (wenn man sich nicht traut, die Flasche zu geben). Doch bei mir kam auf das mit der Impfung kämpfende Immunsystem ein schrecklicher Pilz in den Brustwarzen und eine Mastitis dazu, die selbst meine Leidensfähigkeit gesprengt haben.
Mit ca. zwanzig verschiedenen Schmerzarten in der Brust fragte ich Hebammen, Gynäkologen und Kinderärzte, ob das an der Impfung liegen und was ich zur Milchsteigerung machen könne. Mir wurde nicht nur gesagt, dass die Impfung nichts damit zu tun habe, sondern empfohlen, mich keinem Stress auszusetzen – mit zwanzig verschiedenen Schmerzen! Gleichzeitig wurde verlautbart, dass viele Frauen eben wunde bis blutige Brustwarzen und schlimme Entzündungen haben. Das sei normal. Ich solle einfach weitermachen. Und das, obwohl mein Baby schon lange keinen Bock mehr hatte. Also habe ich abgepumpt. Mich wie eine Milchkuh an eine elektrische Pumpe gehangen, die aus den ohnehin schon überreizten, schmerzenden Brüsten noch das letzte Bisschen rausgesaugt haben.

Mit hochroten Titten, aus denen die nicht getrunkene Milch quoll, fragte ich mich: Warum? Warum müssen sich Frauen in unserer vermeintlich wirklich aufgeklärten, hoch hygenisierten Welt diesen Mariaschmerzen aussetzen? Warum ist die Dornenkrone um die Brust normaler als dem schreienden Kind endlich die Flasche zu reichen, die es mit sichtbarem Genuss leert?
Meine Antwort nach monatelangen Grübeln und einem wirklich – nur für mich und nicht für meinen Sohn, der seine Flasche ab Tag eins geliebt hat – schmerzhaften Prozess des Abstillens ist: Stillen ist nicht für das Kind so wichtig. Es ist für die Mutter wichtig.
Wir gehen 9 Monate mit einem anderem Menschen in uns durch die Welt. Ab etwa dem 3. Monat fühlen wir Tritte, Boxen, Herzschlag. Wir spüren seinen Rhythmus, erleben bereits einen Menschen mit einer Persönlichkeit. Wir sind 6 Monate nie allein. Und dann sind wir es plötzlich doch wieder.
Aber wenigstens haben wir die Brust, um zu binden. Wir sind damit nie ersetzbar, wenigstens eine Zeit lang, bis man sich daran gewöhnt hat, dass das Kind nun wirklich draußen ist. Das kann bis zu einem Jahr oder länger dauern. Nicht das Neugeborene und auch nicht der Säugling brauchen diese Brust so sehr, die durch Flaschennahrung und anderen Hautkontakt definitiv ersetzt werden kann. Die Mutter braucht sie. Und der Schmerz ist groß, wenn man nicht mehr auf diese Weise gebraucht wird. Das weiß ich auch von Freundinnen, die erst nach einem Jahr abstillen müssen.
Ohne das Schöne am Brustfüttern – wenn man keine Schmerzen hat – mindern zu wollen, wäre ich der Gegenwart wirklich dankbar, wenn sie ihre politische Korrektheit nicht nur auf Sternchen oder Slashes im Namen richtet, sondern endlich die Muttermilch entzaubert und die Flaschennahrung ebenso befürwortet.
Ein Weg wäre, wie im Englischen, das Wort Stillen für beide Formen gelten zu lassen: Stillen mit der Brust und Stillen mit der Flasche. Ein anderer, die immer noch kursierenden Gerüchte und Studien zu falsifizieren. Und besonders die ganzen Mutterforen im Netz darüber aufzuklären, die nicht nur auf ihren Informationsseiten, sondern auch in den Chats eine grausame Herabsetzung mit der Flasche fütternder Eltern forcieren. Ein dritter Weg wäre, dass all die Celebrities, die sich auf den Titelseiten stolz mit saugenden Babys an ihren Brüsten präsentieren (ebenso wie das Ausstellen der Schwangerschaft wichtiger Teil der Selbstvermarktung), die Wirklichkeit zeigen: In dieser werden sie als offensichtlich arbeitende Mütter sicherlich keine Zeit zum Vollzeitstillen haben.




Stattdessen wird aber gerade in der Pandemie ein neuer Mythos geschürt: Geimpfte Muttermilch schütze vor Corona. Ein leicht zu widerlegender Irrglaube, der trotzdem seinen Weg durch alle Kinder- und Frauenarztempfehlungen gefunden hat und auch mich dazu getrieben, mich so schnell wie möglich impfen zu lassen. Dabei ist für Grippe, Kolchhusten und andere Atemwegserkrankungen längst bekannt, das der durch die Muttermilch übertragene Impfschutz gleich Null ist. Muttermilch geht nämlich in den Magen und nicht ins Blut. Und da setzt sich kein Coronavirus fest.
Der einzige wirklich belegbare Vorteil von Muttermilch ist daher offenbar der Schutz vor Magen-Darm-Erkrankungen – wenn die Mutter gerade den gleichen Virus durchmacht. Das ist angesichts eines kotzenden oder Durchfall habenden Kindes sicher kein geringer Effekt. Aber es lohnt nicht das Shaming tausender und abertausender Mütter, die mit der Flasche füttern. Es stillen nämlich selbst in Deutschland und Österreich, die Vorreiter in Sachen Karenz und damit Stillzeit sind, nur 60% die vollen 6 Monate. In Frankreich, der Schweiz, Irland, England, Amerika, wo es gute Säuglingsnahrung, aber kaum Mutterschutz gibt, liegt die Rate bedeutend niedriger.
Ich wünsche mir daher, dass Deutschland und Österreich endlich Johanna Haarers Erbe hinter sich lassen und ein neues Buch geschrieben wird: Die Mutter und ihr Flaschenkind – eine liebevolle Beziehung.