Der Sch(m)utz der Kulturen

Vier Männer in schwarzen Anzügen bauen sich hinter ihren Pulten auf: Es sind der türkis beschlipste Kurz, der rosafarbene Kogler und ihre beiden Anhängsel. Sie alle nutzen für die Beschreibung der Corona-Krise nicht nur immer wieder die schräge Metapher eines „Marathons“, der vor dem „Team Österreich“ liege, sondern stark religiös eingefärbte Sprachbilder, die ein weiteres Licht auf den Schatten der Corona-Krise werfen.  

Die Formel von der „Ruhe vor dem Sturm“, die auch Merkel häufig nutzt, stammt zwar aus der Meteorologie, wird jedoch immer wieder untermalt von den sintflutartigen Visionen der Pandemie, die sich in jeder öffentlichen Diskussion nicht mehr auf das eigene Land, sondern zur Zeit auf die USA, Indien und „Afrika“ beziehen und hier die Angst vor dem Fremden ein weiteres Mal mit der Angst vor dem Virus amalgamieren.

Auch wenn Europa als „Epizentrum“ der Krise beschrieben wird, sind es die ‚schwarzen‘ Zahlen aus Kontinenten, die man noch nicht mal als solche benennen kann, welche in Österreich und Deutschland mit seinen relativ flachen Infektionskurven weiterhin die größte Panik verbreiten.

Hoffnung kommt dagegen von den hellen Asiaten, deren Brauch, mit Masken rumzulaufen, uns zwar „sonderbar und fremd“ vorkommt, so der österreichische Bundeskanzler, aber ganz klar auf Reinlichkeit und Distanz setzt.

Dass Chinesen allerdings dafür bekannt sind, in der Öffentlichkeit zu rotzen, weil es unhöflich ist, ins Taschentuch zu schnupfen, und dass die minimale Infektionsrate dieses Landes schon allein deswegen eine große Lüge ist, weil es doch offiziell auch Hong Kong und Taiwan zu sich zählt, wird verschwiegen. Stattdessen wird in der ganzen Welt „das Asiatische“ auf einmal zur Hygiene an sich stilisiert und China in den letzten Tagen immer wieder als Retter in der Covid-Not herbeigerufen.

Zu der ebenfalls noch wenig betroffenen Kultur Japans macht man da keine großen Unterschiede. Trotzdem die Japaner gerade aufgrund ihrer großen Reinlichkeitsethik auch eine lange Tradition der ‚Altenentsorgung‘ haben – die ihnen die heilige Corona ja beinahe zur Gelegenheit macht (und wäre man Verschwörungstheoretiker würde man das gleiche für die Chinesen behaupten).

So beschreibt Thomas Macho in Das Leben nehmen (2017) die Praxis des „Ubasute“, bei der Kleinkinder wie auch pflegebedürftige Senioren in Krisenzeiten im Wald zum Sterben zurückgelassen werden. Mit dem Film „Die Ballade von Narayama“ (1958) schildert Macho das eindrücklich: Hier wird eine 69 Jahre alte Frau von ihrem Sohn zum Sterben auf einen Berg getragen – selbst eigentlich noch sehr vital und geradezu herrisch, will sie doch so unbedingt sterben, dass sie sich selbst die Zähne ausschlägt, um älter zu wirken. Neben dem brutal wirkenden Alterssuizid wird hier also auch die Frage nach dem Recht auf den eigenen Tod gestellt.

Eine Frage, die uns in den Zeiten der Coronakrise immer wieder einholen wird. Hat nicht jeder (Alte und Kranke) trotz aller Maßnahmen das Recht, sich gegen sie zu entscheiden?

Die Kulturen spalten sich hier nicht nur in diejenigen, die ‚ordentlich‘ maskiert und menschlich distanziert mit dem Virus umgehen, und diejenigen, die durch ihren „Küsschen-Küsschen-Brauch“ (Italien, Spanien, Frankreich), ihr schlechtes Gesundheitssystem (USA) oder ihren „Trieb zur Masse“ (Indien) in Unordnung und Chaos versinken. Sie spalten sich ganz einfach in „rein“ und „unrein“.

Die Sozialanthropologin Mary Douglas hat schon 1966 darauf aufmerksam gemacht, dass „Purity and Danger“, also „Reinheit“ und die mit Gefahr assoziierte „Unreinheit“ alle unsere kulturellen, moralischen, und vor allem religiösen Differenzierung ausmacht. Dabei geht es nicht einfach um Hygiene, sondern um Kategorien wie „sauber und schmutzig“ und damit „menschlich und animalisch“, oft auch „männlich und weiblich“. Schließlich waren Frauen mit ihrem immer wiederkehrenden Menstruationsblut und ihrem größeren Hang zu Tränenfluss stets die gefährlicheren Gemeindemitglieder. Deswegen wurden und werden sie in vielen Religions- und sozialen Kontexten einfach ausgegrenzt.

Selbst in Corona-Zeiten zieht man erst langsam auch Virologinnen heran, damit neben den Drostens, Kekulés und Robert Kochs auch mal ein frisches Frauengesicht aufblitzt. Hübsch frisiert und reinlich, versteht sich.

Die Rede von der Infektionsrate der einzelnen Länder und Menschen macht also ganz einfach auf ihren Schmutz aufmerksam. Und wer in diesen Bereich kommt, so Douglas: „is believed to suffer horrible disasters which overtake those who inadvertently cross some forbidden line“. Auch wenn Mary Douglas hier ‚primitive‘ Kulturen beschreibt, wird schnell klar, wie sehr dieser Glaube auch den heutigen Diskurs beherrscht.

Die Österreicher fühlten sich mit ihrem distanzvollen „Grüß Gott“ lange ohne Mundschutz auf der richtigen Seite. Doch der Wiener Schmäh, der ja schon im Wort vor Spucke trieft, und die fast ‚südländische‘ Lust, sich gegenseitig zu „busserln“, hat dann eben doch zur Maskenpflicht ab morgen geführt.

Ich bin tatsächlich nicht nur für Mundschutz, sondern für großflächige Gesichtsmasken – Verkleidungen wie im Kabuki-Theater, die in der asiatischen Welt wohl die längste Tradition der Maskerade haben und deren Stil sogar die grausame „Ballade von Narayama“ untermalt.

Ihre aufwendigen Verzierungen können der Uniformierung, welche wir aufgrund der Panikmache einfach akzeptieren, wenigstens etwas Individualität entgegensetzen.

Und vielleicht sogar ein bisschen Witz. Da haben uns „die Asiaten“ ohnehin schon was voraus.

Ich argumentiere damit sicherlich nicht gegen mehr Schutz und Achtsamkeit. Aber gegen die immer lauter werdende „Sintflut des Unreinen“, mit der die Bevölkerung eben nicht nur mundbemasket, sondern mundtot gemacht wird.

Viele aus dem „Team Österreich“ waren nach dieser Rede der vier wackeren Ritter so betroffen, wie nie zuvor. Jeder hat sich abgemahnt gefühlt, egal wie gut er die Maßnahmen von Papa „Regierung“ doch schon umgesetzt hat.

Ich wünsche mir manchmal eine dreckige Mutter, die einfach sagt: „Mein Kind, geh raus spielen und stärke Dein Immunsystem, aber lass die Oma und die kranke Tante in Ruhe – wenn sie es denn selber wollen.“

Nur dann setzt es Haue. Und nicht bei jeder Pressekonferenz.

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